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Probleme? Nee, hab‘ ich nicht

Probleme? Nee, hab‘ ich nicht. Das heißt, nicht mit meinem Schwulsein. Genauer gesagt, nicht mehr seit meinem Coming Out.

Früher war das anders. Auch ich war anders. Nicht wesentlich anders als heute, aber anders als man(n) bzw. Junge zu sein hat. Die klassischen Klischees, die einem Schwulen nachgesagt werden, trafen voll auf mich zu. Ich war häuslich, kochte, strickte, bastelte und war immer nett und freundlich. Fußball, Autos, Schlägereien und andere männliche Attribute kannte ich zwar, hegte aber kein großes Interesse, mich näher damit zu beschäftigen.

Nun, damals hatte ich Probleme, denn trotz all dieser eindeutigen Anzeichen konnte es doch auf keinen Fall sein, daß ich schwul war. Der Meinung war auch meine Familie, insbesondere meine Mutter. Auch gut gemeinte Ratschläge ihrer Freundinnen konnten meine Mutter in ihrem Glauben an meine Heterosexualität nicht erschüttern. Sie verteidigte ihren geliebten Sohn.

Mit 13, 14 Jahren fing dann meine Selbstverteidigung an. Nun wurde die ganze Sache auch zunehmend problematisch. In der Klasse und in der Clique fingen die üblichen Spielchen wie Flaschendrehen etc. an, und alle waren hellauf begeistert. Ich wußte nicht recht, was ich damit anfangen sollte. Natürlich machte ich aber mit und war froh, wenn ich auch mal ein Mädchen zum Knutschen abkriegte. Denn das war ja der richtige Weg ins Heterodasein. Richtiges Engagement zeigte ich dagegen eher beim Sportunterricht, insbesondere, wenn wir zum Schwimmen gingen. Das war spannend, wenn sich alle Jungs in der Umkleide umzogen! Manche hielten sich nicht einmal ein Handtuch vor, und ich konnte ihre Schwänze angucken; natürlich nur so, daß es niemand merkte. (Natürlich merkten sie’s.) Manchmal zog sich sogar unser Sportlehrer bei uns um. Das war das größte (der Größte natürlich auch). Das fand ich schon damals richtig geil, und mit Hilfe der homosexuellen Phase, die jeder Heteromann im Laufe seiner Entwicklung durchmacht,
war das auch als durchaus normal zu deuten.

Wie schon gesagt, die anderen merkten natürlich doch, wenn ich mich nach ihren Schwänzen umsah. Sie merkten auch, daß ich in meinem ganzen Verhalten anders war als sie, und es dauerte nicht lange, bis jemand sagte: Der is‘ doch schwul. – O Gott, nein, nur das nicht!

Indem ich viel selbstbewußter auftrat, versuchte ich mein Anderssein als Variante eines normalen Jungen (Mannes) darzustellen. Davon war ich selbst am meisten überzeugt und war froh, doch nicht schwul zu sein.

Es machte mich dann doch stutzig, daß die omosexuelle Phase nicht aufhören wollte und sich meine Träume häuften, in denen ich Sex mit Männern hatte oder auch nur nackte Männer sah. Auch wollte es mir nicht gelingen, mich in ein Mädchen zu verlieben; dabei hab‘ ich mir das so gewünscht.

Probleme? Ja, da waren sie! Sie waren für mich nicht so massiv, daß ich seelischen Schaden davon erlitten hätte, aber sie waren da.

Mit 18 verliebte ich mich dann das erste Mal. So war das also: Herzklopfen vor dem vereinbarten Termin oder wenn ein Brief kam, nicht schlafen können und unter der Trennung leiden, auch wenn es nur für ein paar Stunden war. Das war also Verliebtsein, endlich!

Einen Haken hatte die Sache denn doch, und zwar war es wieder mal der „kleine Unterschied“, der meines vom Verliebtsein anderer junger Männer unterschied. Ich hatte mich in einen Mann verliebt!

Komischerweise machte es mir keine Probleme, solange ich verliebt war und meine Gefühle ausleben konnte. Sex gab’s in dieser Beziehung nicht, doch Nähe, Zärtlichkeit und das Gefühl, endlich das Richtige zu tun. Problematisch wurde es erst, als ich sitzengelassen wurde. Nun hatte ich wirklich Probleme. Der erste richtige Liebeskummer und die quasi Gewißheit, doch schwul zu sein.

Also, meine Mutter sollte das nicht wissen. Und die tausend Seelen, die unser Dorf zählte, schon gar nicht. Hatte ich doch ohnehin einen schwulen Onkel, der aufgrund seines sehr exzentrischen Lebens in unserem Dorf nicht gerade beliebt war. Bei mir war das anders. Mich mochten viele Leute. Wie sollte das nun werden, wenn sie erführen, daß ich auch schwul bin? Nein, das mußte nicht sein!

Schließlich lernte ich doch eine Frau kennen, mit der ich mich sehr gut verstand. Wir hatten schöne Zeiten zusammen, und es entwickelte sich eine Beziehung, die zwei Jahre dauerte. Ich und mein ganzes Umfeld waren erleichtert, denn nun schien alles seinen gewohnten Lauf zu nehmen. Die Beziehung war auch wirklich gut, und auch im Bett funktionierte alles. Irgend etwas fehlte mir aber doch. Ich brauchte eine Zeit lang, um zu merken, daß es Männer waren, die mir fehlten. Da ich mittlerweile in der Stadt wohnte und auch schon was von Klappen und Cruising gehört hatte, ging ich denn doch mal auf Männersuche. Es war nicht schwer, Kontakt zu kriegen, und es machte mich an. Also häuften sich meine Aktivitäten in Bezug auf Männer.

Probleme? Ja, auch jetzt waren sie da. Eine Heterobeziehung, die ich wollte, und mein Drang zu Männern, den ich nicht wollte. Was tun?

Zufällig fiel mir das Erstsemesterinfo der SchwUnG in die Hand, und aus irgendeinem Grund löste ich das Kreuzworträtsel und schickte es in die Steinstraße 23. Nach circa vier Wochen bekam ich eine Postkarte mit zwei nackten Männern. Wer sollte mir eine solche Karte schicken? An die SchwUnG hab‘ ich im Traum nicht gedacht, aber sie war’s. Scheinbar hatte ich einen Buchpreis gewonnen, den ich allerdings bei der SchwUnG abholen sollte (mußte!).

Das war nun doch ein Schritt, der nicht einer der leichtesten war. So vergingen drei Monate, bis ich mich traute, zur SchwUnG zu gehen. Die Beziehung zu meiner Freundin hatte sich mittlerweile auseinandergelebt. Mit Herzklopfen radelte ich also in Richtung Gewerbehof. Durch den Kopf gingen mir noch mal alle Gedanken, die ich seit dem Erhalt der Karte hatte: Was sind das wohl für Leute bei der SchwUnG? Wohl lauter Tucken! Bestimmt fallen die alle über mich her und sind froh über ein Stück Frischfleisch.

Ich weiß nicht, inwieweit da auch geheime Phantasien bei diesem Gedanken mitspielten, jedenfalls war’s ganz anders. Niemand fiel über mich her (was ich mittlerweile fast bedauere), und die Männer dort waren ganz normale Leute: Studenten, Azubis, Arbeiter, Zivis, Angestellte, Künstler, kurz: alles, was in der Heterowelt vertreten ist, war auch hier zu finden.

Probleme? Nee, hier hatte ich keine, im Gegenteil! Durch Diskussionen in der Gruppe und Gespräche mit einzelnen wurde mir sehr schnell klar, daß ich kein Sonderling war, und daß sich meine Wünsche und Sehnsüchte erfüllen lassen, wenn ich will. Ich mußte nur mein Anderssein, mein Schwulsein bejahen und es auch leben.

Seit sechs Jahren tu‘ ich dies nun, und mir geht’s gut dabei. Das Coming Out war letztendlich nur noch ein kleiner Schritt. Geahnt oder befürchtet, daß ich schwul bin, hatten ohnehin die meisten. Auch mit der Familie gab es kaum Probleme. Durch den relativ offenen Umgang mit meinem schwulen Leben hat sich das Verhältnis zu meinen meisten Bekannten und Freunden sogar intensiviert. Klar gab es auch Leute, die sich von mir distanziert haben. Auf die kann ich heute jedoch gut verzichten. Die haben mich eben nicht so akzeptiert, wie ich bin, sondern wie sie mich haben wollten – nicht mit mir; nicht mehr!

Wolfram