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Coming-Out mal anders…

Am Jungfernstieg

Neulich habe ich erfahren, dass mein Enkelkind Moritz Männer lieber hat als Mädchen. Und ich muss leider zugeben, dass ich da etwas Dummes gesagt habe. Aber das hat nun mal auch seine Gründe. Ich bin in einer Zeit groß geworden, da hat man über solche Dinge nicht gesprochen. Natürlich kannte ich aber auch schon als junge Deern den einen oder anderen Mann, der so war. Man wusste ja Bescheid. Meistens, weil einer mit 35 noch nicht verheiratet war. Oder weil er am Wochenende in bestimmte Etablissements ging. Und wenn der Mann sich ansonsten ordentlich verhalten hat, dann hat man einfach nicht weiter darüber geredet. Doch großes Aufsehen durfte eben nicht darum gemacht werden, das war nicht anständig. Ich weiß es noch ganz genau, als ob es heute wäre:

Einmal, da bin ich mit meinem Mann, er war damals noch ein sehr schmucker Bursche, am Jungfernstieg gewesen, als er dort auf einmal auf die öffentliche Toilette musste. Ich wartete draußen, und es dauerte so merkwürdig lange. Als mein Herbert dann endlich wieder raus kam, da war er so gut gelaunt. Er konnte sich an diesem Tag gar nicht mehr einkriegen. Merkwürdig, dachte ich noch. Erst Jahre später, als er schon sehr krank war, hat er mir dann erzählt, dass er an diesem Tag auf der Toilette jemanden wiedergetroffen hatte, den er schon sehr lange kannte. Peter hieß der Mann, und Herbert und er haben sich auf der damaligen Arbeits-stelle meines Mannes im Klinikum Eppendorf kennen gelernt. „Und, habt ihr Euch schön unterhalten auf der Toilette?“, fragte ich ihn erst noch und habe gelacht. Herbert blieb sehr ernst. „Das auch“, sagte er. Fast wie ein kleines Kind, so bedröbbelt

kuckte er und da wurde mir auf einmal klar, dass mein Mann Her-bert an diesem Tag auf der Toilette Verkehr hatte. „Hast Du etwa mit diesem Peter…“, ich konnte es gar nicht aussprechen. „Wir haben uns befriedigt, ja!“, sagte er, „und das war auch nicht das letzte Mal.“ Ich war ganz schön geplättet! „Und das sagst du einfach so?“ „Ich kann ja

nicht gleich bei allem immer so hysterisch werden wie du“, hat er da auch noch geantwortet. Mein Herbert, ein Homo! Und es kam noch schlimmer. „Außerdem wusstest du in dieser Zeit ja schon gar nicht mehr, wie mein Ding da unten aussieht.“ „Ach, aber Peter wusste es?“ „Dann ja!“ Ich konnte nicht anders, mir standen die Tränen in den Augen. „Marga“, sagte er dann sehr lieb. „Ich wollte es dir gerne sagen. Nun sei bitte so stark, wie ich es von meiner Frau erwarte. Und wie ich es von dir kenne. Du warst immer meine Stütze. Ich weiß nicht, was ich ohne dich gemacht hätte. Aber unser Sex, der war nun wirklich gar nichts. Von Anfang an nicht.“ Da musste ich dann endgültig heulen. Herbert ist nun schon ein paar Jahre tot, und neulich, da kam Moritz zu mir. Er sagte: „Etwas muss ich dir noch erzählen, Oma. Ich bin schwul!“ Erst mal sagte ich gar nichts. Dann platzte es aus mir heraus. „Gut. Aber dass du mir niemals, nie und nimmer verheiratete Männer am Jungfernstieg ansprichst, hörst du!“, fuhr ich ihn an. Der arme Junge war ganz verstört.

Margarethe Schneider (72), Rentnerin aus Hamburg

Gefunden in Männeraktuell (02/2003)